Selbstdiagnostik: Die unterschätzte Revolution im Gesundheitswesen
Selbst- und Heimtests werden oft als weniger genau im Vergleich zu Laboranalysen beschrieben. Kritiker warnen vor falsch positiven und falsch negativen Ergebnissen, die zu falschen Handlungen oder unnötiger Besorgnis führen könnten. Ebenso wird argumentiert, dass Menschen ohne ärztliche Begleitung zu unsachgemäßen Entscheidungen verleitet werden könnten. Diese Bedenken sind durchaus berechtigt, doch sie übersehen eine wesentliche Komponente: Selbsttests haben eine ganz andere Aufgabe und eröffnen neue Möglichkeiten, die bei einer breiten Testung der Bevölkerung entstehen.
Der große Vorteil der Selbsttests: Niedrige Hürden, hohe Reichweite
Der unbestrittene Vorteil von Selbsttests liegt in ihrer Zugänglichkeit. Sie bieten die Möglichkeit, kostengünstig eine große Gruppe von Menschen zu erreichen, die sonst möglicherweise keinen Arzt aufsuchen würden. Viele Menschen vermeiden aus den unterschiedlichsten Gründen den Arztbesuch: Zeitmangel, Angst vor Diagnosen oder schlicht die Unannehmlichkeit eines Termins.
Ein Test, den man unkompliziert in der Apotheke oder online kaufen kann, senkt diese Hürde erheblich.
Auch hat die medizinische Versorgung oft Themen, die keine akuten Beschwerden machen wenig bis gar nicht im Fokus und meint auch keine Kapazität dafür zu haben.
Die Blutzuckermessungen und Schwangerschaftstests waren die ersten verlässlichen Selbsttests: Sie sind heute selbstverständlich
Wichtig ist dabei, dass diese Tests nur dann sinnvoll sind, wenn sie dem Anwender ein klares, nachvollziehbares Ergebnis liefern und sich daraus eine eindeutige Handlungsanweisung ableiten lässt. Beispiele dafür sind Tests zur Diagnose von Infektionen oder zur Früherkennung von Tumoren. Fällt der Test negativ aus, ist keine weitere Handlung nötig. Ein positives Ergebnis hingegen sollte eine sofortige medizinische Abklärung nach sich ziehen.
Missverständnisse und Vorurteile gegenüber Selbsttests
Ein häufig geäußertes Argument ist, dass Menschen, die sich selbst auf Infektionen wie Geschlechtskrankheiten testen, im Falle eines positiven Ergebnisses nicht die erforderliche medizinische Hilfe in Anspruch nehmen und möglicherweise Meldepflichten umgehen könnten. Doch Studien, vor allem aus den USA, haben gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Personen mit einem positiven Testergebnis tatsächlich ärztliche Hilfe aufsucht. Der kleine Anteil, der keine adäquaten Schritte unternimmt, gehört meist ohnehin zu denjenigen, die auch ohne Selbsttest nicht zum Arzt gegangen wären.
Selbsttests als Ergänzung zum Gesundheitssystem
Auch in Ländern wie Österreich und Deutschland, die großteils noch über ein exzellentes Gesundheitssystem verfügen, besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den medizinischen Möglichkeiten und der tatsächlichen Nutzung durch die Bevölkerung. Über 30 % der Menschen sind hierzulande beispielsweise mit Helicobacter pylori infiziert, der das Riskiko für Magenkrebs um da bis zu 6-faceh erhöht und einfach zu behandeln wäre. Nur weniger als 20 % nehmen regelmäßig an der Darmkrebsvorsorge teil – eine Maßnahme, die 90 % der Darmkrebsfälle verhindern könnte und durch einfache Stuhltests zu bewerkstelligen wäre. Über 10 % der sexuell aktiven Bevölkerung latente Infektionen mit Chlamydien oder Gonorrhoe, die sehr einfach zu behandeln wären.
Dies sind alles Krankheiten, die durch einfache und leicht zugängliche Selbsttests diagnostiziert werden können. Solche Tests können zu Hause durchgeführt oder zumindest selbst abgenommen und ins Labor geschickt werden. Sie bieten innerhalb kurzer Zeit verlässliche Ergebnisse.
Entlastung des Gesundheitssystems durch Selbsttests
Unser Gesundheitssystem wird in den kommenden Jahren zunehmend unter Druck geraten. Gründe dafür sind der Mangel an Fachpersonal und die steigende Zahl von Menschen, die eine intensivere medizinische Betreuung benötigen. Es ist daher sinnvoll und notwendig, Standard- und Routineuntersuchungen auszulagern, wo es möglich ist.
Die zuvor genannten Beispiele – von Helicobacter pylori, Darmkrebsvorsorge bis hin zu sexuell übertragbaren Krankheiten – zeigen, dass unser Gesundheitssystem möglicherweise nicht ausreichend darauf ausgerichtet ist, Menschen zu versorgen, die akut keine Beschwerden haben. Hier können öffentliche Kampagnen abseits der klassischen ärztlichen Versorgung über Social Media und der Vertrieb durch Apotheken und Gesundheitsdienstleister eine wichtige Rolle spielen. Sie könnten das Bewusstsein für diese Gesundheitsrisiken stärken und gleichzeitig den Zugang zu einfachen, erschwinglichen Tests erleichtern.
Ein Beispiel: Ein Test auf Helicobacter pylori kostet etwas mehr als zehn Euro und liefert zuverlässige Ergebnisse. Mit diesem Test kann man das Risiko, an Magenkrebs zu erkranken, von einem sechsfach erhöhten auf ein normales Niveau senken. Das Gesundheitssystem allein könnte es nicht leisten, alle Menschen auf dieses Bakterium zu testen – Selbsttests bieten hier eine wertvolle Unterstützung.
Fazit
Selbst- und Heimtests sind kein Ersatz für eine ärztliche Diagnose, aber sie können eine wertvolle Ergänzung zum bestehenden Gesundheitssystem darstellen. Sie helfen, Menschen zu erreichen, die ansonsten keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen würden, und tragen dazu bei, präventive Gesundheitsmaßnahmen breiter verfügbar zu machen. Wichtig ist jedoch, dass diese Tests klare und umsetzbare Handlungsanweisungen liefern. Wenn sie richtig eingesetzt werden, können Selbsttests nicht nur das individuelle Gesundheitsbewusstsein stärken, sondern auch unser überlastetes Gesundheitssystem entlasten.
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